38 jährige, ca 35kg schwere Patientin, die vor etwa 2 Monaten in einem psychotischen Zustand vor ein Auto gerannt ist. Dabei hat sie sich eine Hüftluxationsfraktur mit instabilem Beckenbruch zugezogen.
Leider wurden die Frakturen nicht primär behandelt, sondern für meinen Einsatz gelagert!
Offene Beckenreposition: was würde das bei in der CH bedeuten??? Anästhesiologische Grossinstallation, genügend Blut und Gerinnungsprodukte etc...
Nicht so hier in Deschapelles! Nach tagelangem Ringen um Blut, konnten gerade mal 2 Beutel organisiert werden. Gerinnungsprodukte sind am HAS keine vorhanden.
Zwischenzeitlich hatte ich nur eine (halbe) chirurgische Assistentin zur Verfügung... was für die Operation und Reposition des Beckens aber zu wenig Manpower war.
Wenn es mal anfängt zu Bluten, dann kommt man mit 2 Beuteln Blut nicht weit!!!
Insgesamt hat es nur eine Blutkonserve gebraucht und die Patientin konnte nach 8-stündiger OP ruhig und schmerzfrei 30 min auf die Abteilung verlegt werden (IPS/IMC/AWR....das gibt es hier so nicht).
Für die orthopädischen Fachkollegen: Siehe Kommentare zu diesem Post
Wirkungslose Extension
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Hüftkopf im kleinen Becken
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Abgeschliffener Hüftkopf
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Girdlestone-Hüfte, Beckenplatte
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Man ist geneigt, eher die besseren und guten Ergebnisse öffentlich zu präsentieren. Dieser Fall hingegen zeigt ein weniger gutes postoperatives Resultat. Nachdem wir nun wirklich zahlreiche - und vor allem unter Anbetracht der hiesigen Bedingungen - sehr schöne Osteosynthesen erreichen konnten, zeigt diese Operation eindrücklich die Grenzen des hier machbaren und/oder auch meine eigenen im Rahmen dieses Settings.
AntwortenLöschenNachdem ich hier angereist war und die Patientin anfangs Januar das erste Mal gesehen hatte, habe ich zunächst ein Röntgenbild veranlasst, um zu sehen, ob diese Extension irgendeine Verbesserung erzielt hatte: Ergebnis negativ, Status idem, verhakte Luxationsfraktur.
Entsprechend habe ich mit einer sehr aufwändigen bis frustranen Operation gerechnet, bevor ich mich an diesen Fall gewagt habe, wollte ich erst einmal die OP-Bedingungen vor Ort kennenlernen.
Nun könnte ich allein ein halbes Buch darüber schreiben, Kurzversion: man macht fast alles alleine, die "sterilen" Abdeckungen sind löchrig und werden mit spitzen Klemmen durchs Tuch leidlich an Ort und Stelle gehalten, es landen Fliegen im Situs, wenn man eine schwierige Situation hat, z.B. die entscheidende Zugschraube setzen möchte, muss man jedes Instrument selbst einspannen und vom Tisch holen, es fällt auch schon mal das Längenmessinstrument auseinander, wenn jemand zur Assistenz da ist, braucht es fast mehr Aufmerksamkeit hierfür (weil z.B. der scharfe Haken bewegt wird, wenn man gerade die Finger in der Wunde hat), als dass es wirklich hilft usw. usw. usw.
Weiter geht es mit der Lagerung, Seitenlage kaum möglich, Bauchlage für solch eine Operation dieser Grössenordnung auch nicht, so dass man seitens der operativen Zugänge ebenfalls limitiert ist.
Entsprechend kann man bei den geplanten OP-Zeiten einen Faktor deutlich grösser 2 im Vergleich zu europäischen Gegebenheiten veranschlagen. ...weiter im Teil 2
Über einen ilioinguinalen Zugang habe ich zunächst die Fraktur und den ins kleine Becken verschobenen Hüftkopf dargestellt. Hierbei zeigte sich, dass der Hüftkopf im Laufe der zweimonatigen Wartezeit zur Hälfte weggeschliffen war und auch das ehemalige Pfannendach mehrere Trümmerbereiche aufwies. Entsprechend wäre selbst bei guter Reposition der Hauptfragmente in kurzer Zeit eine massive Hüftarthrose zu erwarten.
AntwortenLöschenVerschiedenste Repositionsmanöver zeigten absolut keine Wirkung, das "Schmetterlingsfragment" machte einfach keinen Wank, eine Schanzschraube als "Joystick" im rechten Schambeinast konnte nicht einmal im Ansatz auch nur irgendwelche Repositionstendenzen erkennen lassen, wie auch der Längszug am Bein unter "dosierter Gewalt", selbst nach zusätzlichem Muskelrelease (M. iliopsoas, M. glutaeus maximus etc.) durch einen weiteren Zugang (lateral).
Das Ergebnis dieser Versuche war praktisch immer gleich: trotz mehrhändigen Gegenhaltens durch die Anästhesie am Kopfende bzw. an den Armen habe ich die Patientin lediglich fast vom Tisch gezogen, als auch nur annähernd eine Verbesserung hinsichtlich der Dislokation zu erreichen. In Anbetracht der Umstände und der zu gross werdenden Gefahr massiver Gefäss- und oder Nervenverletzungen habe ich mich dann dazu entschieden, den beschädigten Hüftkopf zu resezieren, im Sinne einer Anlage einer Girdlestone-Hüfte.
Auch hiernach liessen sich die Beckenfragmente nicht annähern, so dass ich als letzte Option (ein Release der Sitz- und Schambeinastfrakturen auf der Gegenseite erschien mir zu risikoreich, Setting...) einen Repositionsversuch über eine Platte angestrebt habe: nach Anbiegen der Platte und Verschraubung auf dem "Schmetterlingsfragment" diente eine zunächst deutliche längere Schraube (die horizontale Schraube direkt über dem Pfannendach) als Repositionskraft: tatsächlich liess sich dann auf diese Weise endlich eine Annäherung bis hin zum Kontakt der Hauptfragmente herstellen. Mehr Kraft oder zusätzliche Schritte wollte ich dann nicht weiter aufwenden, da jegliche Blutung etc. nicht händelbar gewesen wäre. Entsprechend habe ich dann nur noch die Platte an der Beckenschaufel fixiert und die Zugschraube in der Länge angepasst.
Das postoperative Röntgenbild ist weit weg jeglichen Anspruchs an eine anatomische Reposition, es besteht ein erhebliches Komplikationsrisiko, was Infektion, Pseudarthrose, Plattenbruch etc. angeht...
Immerhin liegt die Patientin jetzt "gerade" im Bett, ist mobilisierbar und hat keine wesentlichen Gefäss- oder Nervenverletzungen erlitten. Ob wir ihr jedoch wirklich ein wenig geholfen haben, wird die Zeit erst klären müssen.
Hey Andrej, herzliche Grüsse aus der Schweiz. Ich kann mir gut vorstellen, wie es bei euch läuft, in ein paar Tagen geht es uns nicht viel anders. Wir sind wieder mit Nicaplast in Nicaragua, da könnte man einen Traumatologen und Orthopäden auch gut gebrauchen. Viel Erfolg weiterhin, finde ich super, dass Ihr per Blog Lebenszeichen sendet :-) wir werden es auch versuchen ... www.nicaplast.ch ... Florian
AntwortenLöschenVerlauf: die Patientin ist dann tatsächlich nach gut 2 Monaten am "Böckli" laufend nach Hause entlassen worden.
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